Projektarbeit: Fluch oder Segen für die Talententwicklung?

Wie Projektarbeit die Erfolge in Talententwicklungsprogrammen gefährden kann

Zurzeit begleite ich ein mittelständisches Unternehmen mit einem umfangreichen Talententwicklungsprogramm. Dieses Unternehmen ist entschlossen, seine Talente zu fördern und weiterzuentwickeln. Die besten und ambitioniertesten Köpfe des Unternehmens sind für ein exklusives Talententwicklungsprogramm ausgewählt worden. Voller Enthusiasmus und Neugier stürzten sie sich in die neue Herausforderung, bereit, ihre Fähigkeiten zu erweitern und neue Horizonte zu entdecken. Doch plötzlich stand eine unerwartete Herausforderung vor ihnen – eine Herausforderung, die ihre Reise zur persönlichen Weiterentwicklung auf den Prüfstand stellen sollte.

Die Herausforderung: Zeitmanagement im Talententwicklungsprogramm

Als externe Begleiterin weiß ich, dass es durch die verschiedenen Akteure in einem Talententwicklungsprogramm irgendwann zu Unstimmigkeiten, Meinungsverschiedenheiten, zeitlicher Einsatz, Prioritätenänderungen kommen kann. Besonders der zeitliche Einsatz der Talente führt immer wieder zu Diskussionen. Deshalb habe ich in einem Meeting mit dem Vorstand und der Personalleiterin vereinbart, dass die Teilnehmenden im Talententwicklungsprogramm zeitlich nicht überfordert werden dürfen, da das Tagesgeschäft viel Zeit in Anspruch nimmt. Dieser Einwand ist entscheidend für die Motivation der Teilnehmenden. Unterforderung genauso wie Überforderung führen zwangsläufig zu Motivationsverlust. Mit diesem Commitment sind wir in das Talententwicklungsprogramm gestartet.

Von Anfang an war ich fasziniert von der Energie und Motivation der Teilnehmenden. Zum ersten Mal in der Historie des Unternehmens findet ein solches Programm statt. Sie sind bereit, Zeit in die eigene Entwicklung zu investieren. Sie bereiten sich gewissenhaft mit Hilfe von Vorbereitungsmaterialien auf die jeweiligen Module vor, bearbeiten sie in Lerngruppen nach und verfolgen ihren zuvor vereinbarten Entwicklungsplan vorbildlich.

Die unerwartete Herausforderung: Projektarbeit

Etwa drei Monate nach dem Start des Programms sollte eine weitere Komponente das Talententwicklungsprogramm bereichern: die Bearbeitung von unternehmensrelevanten Projekten. Der Vorstand hat die Themenauswahl, die Zusammenstellung der Kleingruppen und die Begleitung der Teilnehmenden während des Projektes übernommen, nicht ich als externe Trainerin. Insgesamt gibt es fünf Themen, die der Vorstand den Teilnehmenden zugewiesen hat und die von zwei bis drei Teilnehmenden bearbeitet werden sollen. Nach anfänglicher Euphorie über die spannenden Themen stellte sich schnell Ernüchterung ein. 2-3 Stunden pro Woche muss jeder in sein Projektthema investieren. Es stellte sich heraus, dass diese Projekte nicht nur ein kleines Hindernis, sondern ein gewaltiger Berg sind, der ihre Reise zu blockieren droht.

Die ersten Anzeichen von Schwierigkeiten

In unseren regelmäßigen Web-Meetings berichteten die Teilnehmenden von ihrer Überlastung. Eine Teilnehmerin sagte: „Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll. Die Projektarbeit nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass ich keine Zeit mehr für die Lerngruppentreffen und andere Themen im Talentprogramm habe. Ich wollte mich so gerne weiterentwickeln, aber jetzt bin ich einfach nur noch gestresst.“ Mehrere Teilnehmer berichteten mir von ähnlichen Erfahrungen. Sie sind erschöpft und überfordert. Ihre operativen Aufgaben haben sich nicht verringert, und die zusätzliche Projektarbeit setzt ihnen zu. Die Lerngruppen, die Auseinandersetzung mit den Inhalten des Talententwicklungsprogramms, ihr persönlicher Entwicklungsplan und die Kompetenzentwicklungsprogramme, die den Kern ihrer persönlichen Weiterentwicklung bilden, werden zur Nebensache.

Die stille Krise

Interessanterweise wagt keiner der Teilnehmer, diese Probleme beim Vorstand anzusprechen. Dieses Verhalten zeigt, dass es in der Organisation eine Kultur gibt, die möglicherweise offene Kommunikation behindert. Die flache Hierarchie des Unternehmens sollte eigentlich die Offenheit fördern, doch in der Praxis begegnen meine Teilnehmenden ihrem Projektsponsor mit Zurückhaltung. Diese Unsicherheit führt dazu, dass wichtige Anliegen nicht angesprochen werden und die Gefahr besteht, dass die Werte der Talententwicklung in den Hintergrund gedrängt werden. Sie kommen zu mir, der externen Partnerin, in der Hoffnung, dass ich eine Lösung finden könnte. Es ist eine stille Krise, die droht, das gesamte Talententwicklungsprogramm zu untergraben.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die fehlende Struktur in der Projektplanung. Viele Teilnehmende sind blauäugig in ihre Projekte gestolpert, ohne zu Beginn einen klaren Zeitplan zu erstellen und diesen dem Vorstand vorzulegen. Eine durchdachte Struktur hätte nicht nur die Erwartungen klar kommuniziert, sondern auch dazu beigetragen, den Fokus auf die persönlichen Entwicklungsziele zu bewahren.

 

Ursachen und Hintergründe

Was ist hier los? Warum gerät das Programm aus dem Gleichgewicht?

  1. Die Prioritäten des Vorstands: Der Vorstand sieht in den Projekten eine großartige Chance, die Teilnehmenden praxisnah zu fördern und gleichzeitig wichtige Unternehmensziele voranzutreiben. Doch dabei wird übersehen, wie wichtig es ist, den Teilnehmern auch Zeit für ihre persönliche Weiterentwicklung zu lassen.
  2. Fehlende Absprachen: Es gibt keine klaren Vereinbarungen darüber, wie die Zeit der Teilnehmer zwischen operativen Aufgaben, Projektarbeit und Talententwicklung aufgeteilt werden sollte.
  3. Unternehmenskultur: Vielleicht ist es die Unternehmenskultur, die stillschweigend erwartet, dass operative Aufgaben immer Vorrang haben. Oder es ist eine Kultur der Überlastung, in der es als normal angesehen wird, ständig am Limit zu arbeiten.

Die Suche nach Lösungen

Es ist klar, dass etwas getan werden muss. Die Teilnehmenden sind erschöpft, und die Ziele des Talententwicklungsprogramms geraten in den Hintergrund. Es ist an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen.

 
1. Klare Prioritäten setzen: Der erste Schritt besteht darin, klare Prioritäten zu setzen. Ich habe mich mit dem Vorstand zusammengesetzt und die Situation erklärt. Es ist wichtig, dass die Bedeutung der Talententwicklung anerkannt wird und die Teilnehmer ausreichend Zeit dafür erhalten. Wir stellten nochmals heraus, wie wichtig ihre individuelle Entwicklung für die gesamte Organisation ist.

2. Transparente Kommunikation fördern: Diese Situation hat allen bewusst gemacht, dass es unerlässlich ist, eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle Beteiligten ermutigt werden, ihre Anliegen offen zu äußern. Wir führten regelmäßige Feedback-Runden ein, in denen die Teilnehmenden ihre Bedenken offen ansprechen können. Diese Gespräche wurden zum wertvollen Austausch zwischen Teilnehmenden, dem Projektsponsor und Führungskräften.

3. Zeitmanagement-Workshops: Wir organisierten Workshops zum Thema Zeitmanagement. Die Teilnehmer lernten, ihre Aufgaben effizienter zu organisieren und Prioritäten zu setzen. Das hilft, die Belastung durch die Projektarbeit zu reduzieren. Zudem schafften wir Klarheit über Erwartungen. Die Teilnehmenden erstellten einen realistischen Zeitplan, um sicherzustellen, dass jeder weiß, was von ihm erwartet wird.

4. Flexibilität und Unterstützung bieten: Der Vorstand zeigte Flexibilität und bot Unterstützung an. Zusätzliche Ressourcen wurden bereitgestellt, wie z.B. studentische Aushilfskräfte, und die Projektziele und -fristen wurden angepasst, um den Teilnehmern mehr Luft zum Atmen zu geben.

5. Eigenverantwortung stärken: In eines unserer Module bauten wir das Thema Eigenverantwortung ein. Danach verstanden meine Talente, dass sie aktiv an der Gestaltung ihrer eigenen Entwicklung beteiligt sind. Eigenverantwortung und Initiative sind entscheidend, um Veränderungen herbeizuführen und den Wert der Talententwicklung zu erkennen.

6. Erfolge sichtbar machen: Meine Talente und ich sprachen darüber, wie sie ihre Erfolge und Fortschritte regelmäßig im Unternehmen kommunizieren können. Dafür nutzen sie jetzt regelmäßig ihr Intranet. Sichtbarkeit hilft, den Wert von Talententwicklung zu verdeutlichen und mehr Engagement von Seiten der Führungsebene zu fördern.

Praktische Tipps für Teilnehmende

  1. Zeitblöcke festlegen: Die Teilnehmenden lernten, feste Zeitblöcke für ihre Talententwicklung einzuplanen und im Kalender zu blockieren. So wurde sichergestellt, dass diese Zeiten nicht für andere Aufgaben genutzt wurden.
  2. Prioritätenliste erstellen: Eine Prioritätenliste hilft, den Überblick zu behalten und sicherzustellen, dass wichtige Aufgaben zuerst erledigt werden.
  3. Delegieren lernen: Die Teilnehmenden lernten, Aufgaben zu delegieren, um ihre eigene Arbeitsbelastung zu reduzieren.
  4. Selbstreflexion fördern: Regelmäßige Selbstreflexion half, die eigene Arbeitsweise zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Der Wendepunkt

Die Veränderungen begannen Wirkung zu zeigen. Meine Talente berichteten, dass sie sich weniger gestresst fühlten und wieder Zeit für ihre persönliche Weiterentwicklung fanden. Die Lerngruppentreffen wurden wieder zu einem wertvollen Teil ihres Programms, und die Teilnehmer begannen, echte Fortschritte zu machen.

Fazit

Die Integration von Projekten in Talententwicklungsprogramme bietet eine wertvolle Erfahrung, doch darf die persönliche Weiterentwicklung nicht auf der Strecke bleiben. Durch klare Prioritäten, transparente Kommunikation und gezielte Unterstützung können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Talente sowohl im Projekt als auch in ihrer persönlichen Entwicklung glänzen.

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